aus: Blätter des Schwäbischen Albvereins, Heft 4/2000
Fahnenschwingen – Edle Kunst und seltenes Brauchtum
Auch die Anfang dieses Jahrhunderts fast völlig vergessene Kunst des Fahnenschwingens wird inzwischen in vielen Volkstanzgruppen des Schwäbischen Albvereins wieder gepflegt und bei Umzügen und Albvereinsfesten als eine Bereicherung des Programms vorgeführt, die stets das Publikum in seinen Bann zieht.
Trotzdem fiel der Umgang mit den Fahnen nicht immer leicht. Weniger wegen der nicht ganz einfach zu erlernenden Handhabung, sondern vielmehr wegen der geschichtlichen Belastung des Themas durch das Dritte Reich.
Historisches
So stellt das Fahnenschwingen immer noch eine eher selten gepflegte Kunst des Brauchtums dar. Seine Wurzeln liegen nicht in der Übermittlung von Nachrichten, sondern in alten mystischen Vorstellungen. Fahnen stellten eine Art „mobiles Heiligtum“ dar, und die Ideale und Ideen, die sie symbolisierten, wurden in der Vorstellung der Menschen durch das bewegte Tuch buchstäblich zum Leben erweckt.
Historische Darstellungen belegen das eigentliche Fahnenschwingen erstmals in der Zeit der Bauernkriege. Die Entwicklung kurzgriffiger, schwingbarer Fahnen war sicher durch die wachsende militärische Bedeutung des Fußvolks begünstigt worden, denn ein Landsknecht zu Fuß konnte eine solche Fahne flexibel handhaben. Die durch gekonnte Schwünge und aufsehenerregende Würfe erzielte optische Wirkung übertraf die Möglichkeiten von Fahnen an starren Stangen.
Der kunstvolle Umgang mit der Fahne wurde im 16. und 17. Jahrhundert an den Universitäten und Militärakademien als Teil der Offiziersausbildung gepflegt. Aus dieser Zeit sind mehrere Beschreibungen von Schwingfiguren und Reihen erhalten geblieben.
Das Fahnenschwingen blieb aber nicht lange dem militärischen Bereich vorbehalten. Die Macht von Adel und Klerus wurde im ausgehenden Mittelalter durch Patrizier, Zünfte und Bürgergilden eingedämmt, und auch diese haben sich als Zeichen ihrer Stellung und Würde Fahnen zugelegt und eigenes Brauchtum gepflegt. So wurde das Fahnenschwingen vergleichbar mit Zunftkleidung, Zunftliedern und Zunfttänzen in vielen Orten über Jahrhunderte hinweg zu einem gewachsenen Bestandteil von Festen im Jahreslauf der Menschen. Auch zu Schwerttänzen und Laetarebräuchen lassen sich Verbindungen nachweisen. Obwohl es früher sicher einen Schwerpunkt im süddeutschen Raum hatte, wie zahlreiche Darstellungen und Schriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert belegen, geriet das Fahnenschwingen mit der Industrialisierung und dem Niedergang der Zünfte bei uns in Vergessenheit. Zum Glück gab es jedoch Rand- und Rückzugsgebiete mit besserem „Gedächtnis“: So blieb das Fahnenschwingen etwa in der Schweiz und in Flandern in ungebrochener Tradition erhalten.
Wiederentdeckung
Der bedeutende Volkstanzlehrer Kurt Wager hat sich auch um die Wiederbelebung des Fahnenschwingens in unserem Raum verdient gemacht. Er hat in den 50er Jahren die Kontakte zu Volkskunstgruppen aus Flandern geknüpft und den Fahnenschwinger Omaar François dazu motiviert, seinen deutschen Freunden das Fahnenschwingen in seiner im süddeutschen Raum verankerten Ausprägung wieder beizubringen. So entstand 1964 die „Deutsche Reihe“ nach alten Vorlagen, die als Manuskript von der Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg herausgegeben wurden. Unter den ersten, die diese „Deutsche Reihe“ schwangen, waren auch Albvereinler, und so wurde sie in das Brauchtumsrepertoire unserer Volkstanzgruppen aufgenommen.
Auch der Volkstanzrat hat sich in den letzten Jahren stark für das Thema eingesetzt. Das seit einigen Jahren erfolgreich laufende Lehrgangskonzept mit den parallel stattfindenden Angeboten Fahnenschwingen, Trommeln und Schwegelpfeifen schafft die Möglichkeit, dass sich auch die musikalische Begleitung an den traditionellen Vorbildern orientiert.
Ein Höhepunkt dieser Arbeit war sicher auch das Internationale Fahnenschwingertreffen 1996 in Öhringen, das von der Volkstanzgruppe im Hohenloher Gau ausgerichtet wurde.
Kurz darauf fand sich die Gruppe „Hohenloher Fahnenspiel“ zusammen, die inzwischen aus einigen Figuren, die in einer Fahnenschule aus dem 17. Jahrhundert beschrieben sind, eine neue Reihe zusammengestellt hat. Mit diesem „Fahnenspiel mit dem verkehrten Rosenbrechen“ steht nun neben der bekannten „Deutschen Reihe“ eine weitere Beschreibung zur Verfügung. Auch sie soll dazu beitragen, dass die malerische und faszinierende Kunst aus der Schatzkiste unseres Brauchtums gepflegt und mit anderen gemeinsam z. B. bei Albvereinsfesten und internationalen Begegnungen vorgeführt werden kann.
Literatur:
Christian König: Fahnenspiel mit dem verkehrten Rosenbrechen, entwickelt und zusammengestellt von der Gruppe „Hohenloher Fahnenspiel“,
herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg e. V. und dem Volkstanzrat des Schwäbischen Albvereins e. V., 2000
Deutsche Reihe, zusammengestellt von Omaar François, 1964, präzisiert von Klemens Ramsteiner und Elke Grießmeier,
herausgegeben vom Landesverband der Fahnenschwinger in Baden-Württemberg e. V., von der Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg e. V.
und dem Volkstanzrat im Schwäbischen Albverein, 1996
Vom Fahnenschwingen, herausgegeben von der Internationalen Organisation für Volkskunst Sektion Deutschland e. V.,
überarbeitet und ergänzt zum Internationalen Fahnenschwingertreffen in Öhringen am 24./25. Mai 1996,
Veranstalter und Mitherausgeber: Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg e. V. und Volkstanzrat im Schwäbischen Albverein e. V., 1996